Von Waschkesseln und Brennblasen, Schwarzgebranntem und Edeldestillaten
Die Geschichte der Destillation im Alpenraum beginnt bereits im Mittelalter. Ihre Wurzeln liegen in der geheimnisvollen Magie der Alchemie und den Klöstern, wo Destillate in geringen Mengen zur Herstellung von Tinkturen und Heiltränken gebrannt wurden. Von dort aus verbreitete sich das Wissen auch unter der bäuerlichen Bevölkerung.
Die Blütezeit erlebte die Destillation während der Herrschaftszeit von Maria Theresia, als die Bauern das Recht eingeräumt bekamen, eine bestimmte Menge an Schnaps steuerfrei zu destillieren. In ihren Waschkesseln aus Eisen und später auch aus Kupfer wurden nun nicht mehr nur das Badewasser, die Wäsche und das Futter für die Schweine gekocht. Mit einem Kesselaufsatz, einem Hut und einer Spirale verwandelte sich die bäuerliche Waschküche in eine Brennerei für den Hausgebrauch. In dieser wurden im Talkessel die Reste aus der Wein- und Obstwirtschaft zu einem manchmal recht derben Bauernschnaps gebrannt. In den höheren Lagen konzentrierte sich die Destillation auf Wurzeln und Kräuter und vor allem auf die Vogelbeere, der eine fast medizinische Wirkung nachgesagt wurde.
Bereits um 1900 entstanden so in Süd- und Nordtirol landauf, landab viele kleine hauptberufliche Brennereien. Am Anfang teilweise als Schwarzbrenner, später offiziell, um im Auftrag des Deutschen Reiches die Wehrmacht in den Kriegsjahren zu versorgen.
Gottfried Roner – das Abenteuer eines Mannes mit einer gewinnbringenden Idee
Es war das Jahr 1946, als Gottfried im Elternhaus eine Brennblase aufstellte. Eine Gelenksentzündung hinderte den früheren Kellermeister daran, den erlernten Beruf weiterhin auszuüben, und so entschied er sich, sein Glück in der Destillation zu suchen.
Bereits einige Jahre zuvor hatte er mit zwei befreundeten Brüden aus Tramin eine kleine Brennerei betrieben. Technisch fortschrittlich wurden dort die Brennkessel bereits mit Dampf beheizt, der gegenüber dem Feuer den Vorteil hatte, das Destillat nicht zu verbrennen.
Die Lage inmitten der Kalterersee- und Gewürztraminer-Rebanlagen war für eine Grappa-Brennerei wie geschaffen.
Der Grappa gehört zu den ältesten Südtiroler Edelbränden. Verwurzelt in der Tradition der Weinwirtschaft wird aus den Trestern von vollreifen und gesunden Trauben die Königin der Destillate gebrannt. Der frühere „Bauernschnaps“ oder im Volksmund auch „Treber“ genannt, spiegelt die Sortenvielfalt unserer Weinregion wider. Durch schonende Destillationsverfahren bleibt der Eigengeschmack der Traubensorten erhalten. Daher finden wir die unterschiedlichsten Aromen von Gewürztraminer, Lagrein, Vernatsch oder Chardonnay im Endprodukt wieder, ein sortenreiner Grappa mit einem geschützten Namen, als Blend, jung oder gealtert. Nur Destillate, die in Italien aus den Schalen der heimischen Weintrauben gebrannt und verarbeitet werden, dürfen sich Grappa nennen.
Uraltes Wissen ermöglicht es, die edelsten Gaben der Natur einzufangen
Nach den frühen Erfolgen mit der Herstellung von Grappa begann Gottfried Roner, begeistert von seinem Land und dessen Früchten, mit der Mazeration von Wurzeln und Beeren aus den umliegenden Wäldern. Die Früchte wurden in Grappa angesetzt und lagerten bis zu sechs Monate in einem alten Luftschutzkeller. Das Rezept für den Alpler, einen Kräuterbitter, ist bereits seit dem Jahre 1953 in Familienbesitz und stammt ursprünglich von einem Mönch.
In den Alpen gibt es eine lange Tradition, die heilenden Wirkstoffe von Kräutern und Wurzeln zu nutzen und sie in Destillaten einzufangen. Die alten Rezepte sind bis heute teilweise unverändert geblieben. Zu den Grundlagen der beliebtesten und bekanntesten Kräuterdestillate gehören wohl Latsche, Zirbe, Wacholder und Enzian. Die Geschichte des Enzianschnapses lässt sich sogar bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts zurückverfolgen und lange galt er als Elixier des Lebens in den Bergregionen. Zeitweise hätte seine Beliebtheit fast zur Ausrottung der Pflanze geführt, heute steht sie unter Naturschutz.
In den späten 1950er-Jahren wurde das Sortiment nach dem Ankauf einer zweiten Brennblase um die Linie der Obstbrände erweitert. Den Anfang machten Zwetschge, Williams Christ Birne und Marille, doch bald folgten weitere heimische Obstsorten und Beeren. Die ausgezeichnete Qualität der Früchte und die natürliche Begabung von Gottfried, legten den Grundstein für die immer noch bestehende einzigartige Qualität der Fruchtdestillate aus der Brennerei Roner.
Mitte der 1960er-Jahre steigen die Söhne Andreas und Günther Roner in den Familienbetrieb ein. Da sie zwischen den Brennblasen aufgewachsen sind und das Glück hatten, die außergewöhnlich feine Nase ihres Vaters zu erben, beschleunigte sich das Wachstum der Brennerei Roner. Andreas Roner übernahm die Aufgabe des Geschäftsführers und später des Präsidenten. Günther Roner fand seine Berufung als Brennmeister.
1965 wurde aufgrund der konstant ansteigenden Nachfrage die Grappa-Brennerei am heutigen Firmenstandort erbaut. In den nachfolgenden Jahren gab es zahlreiche Um- und Ausbauten, bis die Brennerei Roner im Jahr 2008 in ihrem heutigen Glanz erstrahlte.
Handwerkskunst, von Generation zu Generation weitergegeben
Eine Flasche Schnaps ist wohl in jedem Südtiroler Haushalt zu finden. Als Heilmittel bei Schnupfen, Zahnschmerzen, zum Einreiben, als Verdauungsschnaps, zum Abschluss eines Abends im Freundeskreis, bei Nervosität. Die Schnapsherstellung ist tief in unserer Tradition verwurzelt. Die Kunst des Destillierens, die Rezepte und Geheimnisse werden von Generation zu Generation weitergereicht.
Das Brennen ist eine Handwerkskunst: Handwerk und Kunst. Geschickt wie ein Komponist, arrangiert der Brennmeister alle Elemente zu einer Geschmackssymphonie. Es gilt stets, die richtige Balance zu halten. Die Reife der Früchte, die Aromen, die Temperatur beim Brennen, den Kopf (Vorlauf) und den Schwanz (Nachlauf) präzise vom Herzstück zu trennen, das Wasser, die richtige Lagerung. Nur wenn alles stimmt, kann ein Destillat mit einzigartigem Charakter entstehen.
Die Destillation an sich ist über die Jahrhunderte immer derselbe Prozess geblieben. Verändert hat sich das Drumherum. Das Hauptaugenmerk bei Roner liegt darin, die Tradition zu wahren, neuen Technologien und Innovationen jedoch offen gegenüberzustehen und diese dazu zu verwenden, um die Qualität der Destillate und Grappas immer weiter zu steigern. Die Brennerei Roner ist heute die meistprämierte Brennerei Italiens.
Wein ist die Poesie der Erde, Grappa ihre Seele ...
- Mario Soldati